Entaluminierung, Ferritkorrosion, Austenitkorrosion, delta-Ferrit, Seigerungskorrosion, Entzinkung, interkristalline Korrosion, selektive Korrosion, Spongiose, Korngrenzen, Wärmebehandlung
Erscheinungsform:
Bei der selektiven Korrosion werden bestimmte Gefügebestandteile, korngrenzennahe Bereiche oder einzelne Legierungselemente bevorzugt korrodiert. Makroskopisch betrachtet kann sich die Korrosionserscheinung über die gesamte Oberfläche erstrecken. Mikroskopisch gesehen beschränkt sich der gesamte Stoffumsatz auf kleine Oberflächenbereiche, wodurch rasches Fortschreiten der Korrosion in die Tiefe hervorgerufen wird.
Korrosion bei Werkstoffen mit funktioneller Mehrphasigkeit:
Die Mehrphasigkeit metallischer Werkstoffe kann funktionsbezogen angestrebt werden. Beispielsweise haben zweiphasige austenitisch-ferritische, nichtrostende Stähle einige Anwendungsvorteile gegenüber einphasigen austenitischen Stählen. Mehrphasigkeit kann allerdings in spezifischen Korrosionsmedien zu selektiver Korrosion führen, wie die nachstehenden speziellen Erscheinungsformen zeigen.
Spongiose:
Diese Korrosionsart stellt sich bei Grauguss mit Lamellengrafit als Folge der Ausbildung galva%nischer Mikroelemente zwischen dem (edleren) Grafit/Zementit/Phosphid-Eutektikum und der (unedleren) ferritisch-perlitischen Grundmasse in sauerstoffarmen Angriffsmitteln (Böden, Wässer) ein. Hierbei kommt es zum selektiven Auflösen der ferritisch-perlitischen Grundmasse; in der Folge findet ein Festigkeitsverlust des Bauteils statt.
Entzinkung:
Diese Korrosionsart stellt sich an zweiphasigen Kupfer-Zink-Legierungen (Messing) bevorzugt bei Zinkgehalten > 30 Mass.-% ein. In der Regel wird die (unedlere) Zn-reiche b-Phase herausgelöst, die (edlere) Cu-reiche a-Phase wird kathodisch geschützt.
Nach erfolgtem Auflösen der b-Phase wird das darin vorhandene Kupfer wieder galvanisch abgeschieden. Bei eher lokalem Angriffsfortschritt spricht man von Pfropfenentzinkung, bei flächigem Angriff von Lagenentzinkung. Besonders erstere Variante kann zum Durchbruch führen.
Entzinkung kann in chloridhaltigen und sauren Elektrolyten auftreten. Feinkörnige Gefüge sind weniger anfällig als Gefüge mit gröberem Korn.
Entaluminierung:
Diese Korrosionsart stellt sich an zweiphasigen Aluminium-Kupfer-Legierungen (Aluminiumbronze) bevorzugt bei Aluminiumgehalten < 5 Mass.-% ein. In der Regel wird die (unedlere) Al‑reiche b-Phase herausgelöst, die (edlere) Cu-reiche a-Phase wird kathodisch geschützt. Diese Korrosionsart setzt im Allgemeinen einen aggressiven Elektrolyt voraus, kann jedoch auch im Kontakt mit verunreinigtem Feuchtdampf auftreten.
Nach dem Auflösen der b-Phase wird das darin vorhandene Kupfer galvanisch wieder abgeschieden. Durch Vermindern des tragenden Querschnitts kann es zum mechanischen Versagen des betroffenen Bauteils kommen.
Ferritkorrosion und Austenitkorrosion:
In austenitisch-ferritischen, nichtrostenden Stählen liegen funktionsbezogen zwei Gefügepha%sen unterschiedlicher Zusammensetzung im Kontakt miteinander vor. In Ausnahmefällen kann es in spezifischen Elektrolyten zur Bildung von Mikroelementen als Folge dieses Kontaktes und zum selektiven Abtrag einer Phase im Mikrobereich kommen. Diese Korrosionsart erstreckt sich auf den gesamten, vom Elektrolyt benetzten Oberflächenbereich des Werkstoffs. Die mechani%sche Festigkeit des Werkstoffs wird durch diese Schadensart beeinträchtigt.
Ferrit-Korrosion:
In austenitischen, nichtrostenden Stählen ist das Vorhandensein von einer geringen Menge von d-Ferrit erwünscht, weil dadurch beim Schweißen die Neigung zur Heißrissbildung vermindert wird. Diese in die austenitische Matrix eingelagerte Phase kann von spezifischen Elektrolyten selektiv angegriffen werden. Dies führt zum Versagen technischer Systeme, wenn der d‑Ferrit nicht inselförmig, sondern als durchgehender Saum parallel zur Schweißnaht in der Matrix eingelagert ist.
Korrosion als Folge unerwünschter Werstoffheterogenität
Herstellungsbedingte Heterogenitäten bei an sich homogenen Werkstoffen sind unerwünscht, da sie in spezifischen Elektrolyten zu selektiver Korrosion führen können. Hierbei handelt es sich zumeist um die Auswirkung von herstellungs- oder beanspruchungsbedingten Elementkonzentrationsgradienten im Gefüge.
Interkristalline Korrosion:
Diese Korrosionsart tritt auf, wenn ein für die Beständigkeit wichtiges Legierungselement als Folge einer Verbindungsbildung mit einem Begleitelement seine erwünschte Eigenschaft örtlich nicht mehr auf den Werkstoff übertragen kann.
Das bekannteste Beispiel ist das Abbinden von Chrom in unstabilisierten nichtrostenden Stählen und Nickellegierungen durch gelösten Kohlenstoff in Form von Korngrenzenkarbiden. Zwischen den Karbiden und den angrenzenden, an Chrom verarmten Bereichen bilden sich galvanische Mikroelemente aus und es kommt in spezifischen Elektrolyten zur Auflösung der korngrenzennahen, chromarmen Zonen. Voraussetzung für diese Korrosionsart ist im Allgemeinen eine Wärmeeinbringung während eines Fertigungsvorgangs, die die Aktivierungsenergie für das Übergehen des thermodynamisch instabilen, gelösten Chroms in die thermodynamisch stabilere Verbindung liefert. Der tragende Querschnitt eines Bauteils wird durch diese Korrosionsart bis zum mechanischen Versagen vermindert.
Ein Sonderfall der interkristallinen Korrosion ist die Messerlinienkorrosion. Sie kann als Folge eines Kontaktes mit spezifischen Elektrolyten (z. B. Salpetersäure) an stabilisierten Stählen auftreten, wenn sich bei diesen nach dem Schweißen in einer engen, an das Schweißbad gren%zenden Zone Titan- oder Niobcarbide ausscheiden.
Seigerungskorrosion:
Bedingung für das Auftreten dieser Korrosionsart sind in Ebenen parallel zur Oberfläche ablaufende Entmischungsvorgänge im Werkstoffinneren während des Herstellungsprozesses (Seige%rungen). Diese und die sich in ihrer Folge ergebenen Ausscheidungen sind die Voraussetzung für die Entstehung von galvanischen Mikroelementen bei einem Kontakt mit spezifischen Elektrolyten. Um diese Mikroelemente zur Wirkung kommen zu lassen, muss allerdings der Querschnitt freigelegt werden, da sich diese Entmischungsvorgänge nicht an den Oberflächen abspielen. Der Korrosionsfortschritt erfolgt also von Schnittflächen ausgehend in Richtung der Zeilen parallel zur Oberfläche.
Mechanismus:
Voraussetzungen füür das Auftreten aller Arten der selektiven Korrosion sind immer Inhomogenitäten im Gefüge der metallischen Werkstoffe. Diese wirken im Korrosionssystem als galvanische Mikroelemente, in denen die unedleren Bereiche vorzugsweise aufgelöst werden.
Einflussgrößen:
Neben der chemischen Zusammensetzung des korrosiven Mittels bestimmen Zusammensetzung, Größe und Verteilung der korrosionsanfälligeren Gefügebestandteile oder Werkstoffbereiche das Ausmaß der selektiven Korrosion. Diese Gefügebestandteile oder Werkstoffbereiche liegen entweder im Werkstoff stets vor oder entstehen bei der Verarbeitung, z. B durch Wärmebehandlung, mechanisches Bearbeiten, Schweißen.
Für die interkristalline Korrosion von nichtrostenden Chrom- und Chrom-Nickel-Stählen sind die Massengehalte an Kohlenstoff sowie an den Stabilisierungselementen Niob/Tantal und Titan maßgebliche Einflussgrößen. In kritischen Temperaturbereichen, denen die Werkstoffe bei Wärmebehandlungen oder beim Schweißen ausgesetzt sein können, werden auf den Korngrenzen chromreiche Carbide ausgeschieden. Dadurch wird der unmittelbaren Umgebung der Korngrenze Chrom, welches die chemische Beständigkeit aufrecht erhält, entzogen. Sie sind dadurch anfälliger für Korrosion. Bei andere Werkstoffen, z. B. Aluminium-Magnesium-Legierungen, werden Korngrenzenausscheidungen direkt angegriffen.
Interkristalline Korrosion wird auch bei Nickel-, Kupfer-, Zink- sowie Zinnlegierungen beobachtet. Auch hier hängt der Angriff mit der Entstehung von Korngrenzenausscheidungen bei bestimmten Wärmebehandlungen oder Fertigungsschritten zusammen.
Konstruktive und fertigungstechnische Maßnahmen
Die wesentliche Maßnahme gegen das Auftreten von selektiver Korrosion ist die geeignete Wahl und Verarbeitung der Konstruktionswerkstoffe.
Zur Verminderung interkristalliner Korrosion ist die Wärmebehandlung auf den Werkstoff abzustimmen, damit die geschilderten Veränderungen an den Korngrenzen (Ausscheidungen) vermieden werden. Neben jeder Art von Glühung sind auch alle anderen Fertigungsverfahren zu beachten, die mit Wärmeeinwirkung verbunden sein können, z. B. Löten, Schweißen, Umformen. Außerdem ist die Betriebstemperatur und ihre Einwirkdauer auf die Bauteile zu berücksichtigen.
Häufige Schäden:
Schäden durch selektive Korrosion sind häufig auf die Wahl ungeeigneter Werkstoffe zurückzuführen. Interkristalline Korrosion bei an und für sich beständigen Werkstoffen ist meist durch falsche Wärmebehandlung (z. B. unsachgemäße Schweißung) verursacht.
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